Entwicklungsbrief Eltern

Familie D.

Als Tom im August 2011 in der weißen Villa aufgenommen wurde, war unsere Familie kurz davor, ernsthaft Schaden zu nehmen. Wir waren im Sommer 2010 nach zwei Jahren Auslandsaufenthalt aus Montreal zurück gekommen, und Tom hatte diesen Umzug nicht verdaut. Er ließ, fünfzehnjährig, seine erste große Liebe, viele gute Freunde und ein Gefühl von Gemeinschaft zurück. In Deutschland begannen die Probleme prompt: schlechter Umgang, Tom schlief in der Schule, und binnen weniger Monate hatte er zehn ‚Fünfen’ im Zeugnis, so dass ein Übergang vom Gymnasium auf eine Stadtteilschule notwendig wurde. Tom begann, regelmäßig zu kiffen und machte aus Tagen Nächte. Er war nicht mehr ansprechbar, lag die meiste Zeit im Bett, schwänzte Schule, klaute uns Geld aus der Geldbörse, log und entglitt uns mehr und mehr. Es verging kein Tag ohne lautstarken Streit, Beschuldigungen, Türenknallen, Enttäuschungen und der Angst, was als nächstes passiert. Die örtliche Drogenberatung zeigte sich nicht wirklich interessiert am Schicksal eines dauer-kiffenden Fünfzehnjährigen, die Erziehungsberatungsstelle schlug nach Wochen vor, Tom zum Gespräch zu laden, und bei Jugendamt wurde uns mitgeteilt, dass die Mitarbeiter überarbeitet seien und wir die Probleme doch gut artikulieren (und hoffentlich selbst lösen) könnten. Schließlich bekam Tom einen Betreuer vom Jugendamt gestellt, und er fuhr einmal pro Woche ins Krankenhaus zur ambulanten Drogenberatung. All diese Maßnahmen halfen nichts. Unser Junge kam und ging wie es ihm gefiel, er verschlief die Tage und war nachts unterwegs, und schließlich kam es so weit, dass seine Schulleistungen nicht einmal mehr für einen Hauptschulabschluss reichen sollten. Uns wurde klar, dass Tom das Umfeld und somit unsere Familie verlassen muss, wenn die Situation nicht weiter eskalieren soll. Also begannen wir, im Internet nach geeigneten sozialtherapeutischen Einrichtungen zu suchen, die Tom helfen konnten. Diesen Tipp hatte uns eine Bekannte gegeben, die in einer solchen Einrichtung arbeitete.  Im Internet fanden wir die Seite der weißen Villa und waren sofort sehr angetan  von allem, was wir an Informationen fanden. Wir nahmen umgehend Kontakt auf. Beim Vorstellungsgespräch in der Villa, das wir gemeinsam mit Familie Spamer führten, wurde uns klar, dass, wenn wir unser Kind in fremde Hände geben würden, dies die Hände und das Haus von Familie Spamer sein sollten. Die freundliche und verbindliche Atmosphäre, die wir antrafen und das Gefühl, mit unseren Sorgen um unser Kind ernst genommen zu werden, haben uns sehr gut getan. Beeindruckt hat uns, dass Tom nicht als pubertierender Schwererziehbarer mit Schulproblemen à la ‚das wird schon wieder’ gesehen wurde, sondern als ein junger Mensch, der ernsthafte Probleme mit sich und seinem Leben hat, die es zu erkennen und wenn möglich zu lösen gilt. Die schönen Zimmer in der Villa, in denen die Jugendlichen wohnten, der Sportraum, der Pool, der familiäre Umgang, all das nahmen wir an positiven Eindrücken mit nach Hause.

Für mich als Mutter war es ein sehr, sehr schwieriger Schritt, unser Kind frühzeitig aus unserer Familie gehen zu lassen, zumal es bei der Erziehung unseres ältesten Sohnes nie Schwierigkeiten gegeben hat, die wir nicht innerhalb der Familie hätten lösen können. Wir waren allerdings an einem Punkt angekommen, wo es letztlich nicht nur um Toms weitere Entwicklung, sondern auch um den Fortbestand unserer Familie ging. Es hatte zu viele Verletzungen, Enttäuschungen, Frustrationen und zu viel Wut, Hilflosigkeit und Streit gegeben. Wir waren ausgebrannt und mit unserem Latein zu Ende. Zudem war das Jugendamt nicht an einer Unterbringung außerhalb der Familie interessiert und kannte die weiße Villa nicht. Nach langem Kampf erhielten wir die Zusage für diese Maßnahme, nachdem wir mit Klage gedroht hatten.

Mittlerweile sind zwei Jahre vorbei, und am Wochenende werden wir Tom abholen und er wird wieder bei uns zu Hause wohnen, worüber wir alle sehr glücklich sind. Tom hat seine mittlere Reife gemacht und wir sehen der Zukunft mit Freude und Zuversicht entgegen! Der Aufenthalt in der weißen Villa war für Tom eine oft herausfordernde und besondere Zeit. Er hat viel über sich selbst und seine Wirkung auf andere gelernt. Er kann seine Schwächen benennen und an ihnen arbeiten, und er hat gelernt, sich als Mensch besser kennen zu lernen und sich realistisch einzuschätzen. Seine Lebensführung ist sehr selbständig geworden, und er hat erst in der weißen Villa und später in der Außenwohngruppe gelernt, Verantwortung für sich und sein Handeln zu übernehmen. Und das beinhaltet ein vernünftiges Zeit-Management ebenso wie gesunde Ernährung und die Fähigkeit, seinen eigenen Hausstand und den Alltag selbständig zu organisieren und strukturieren. Tom hat gelernt, neben seinen eigenen Bedürfnissen auch die seiner Mitmenschen wahrzunehmen, und er hat begriffen, dass das Leben mehr ist als chillen auf der Couch. Er freut sich auf seine neue Schule und die Ausbildung, die er im August beginnen wird.

Diese positive Entwicklung und die Rückkehr unseres Sohnes in ein ‚geordnetes’ Leben verdanken wir den Anstrengungen der Mitarbeiter der weißen Villa: den Sozialarbeitern, Therapeuten, Erziehern, Nachhilfelehrern, der tollen Hauswirtschaft (Tom hat immer vom tollen Essen geschwärmt!), und allen, die am ganzheitlichen Konzept dieser sozialtherapeutischen Einrichtung mit viel persönlichem Einsatz mitarbeiten. Es gab immer einen guten Draht zu allen Mitarbeitern, und Tom hat sich vom ersten Tag an in der Villa zu Hause gefühlt. Die freundliche und familiäre Atmosphäre haben gerade in der ersten Zeit viel dazu beigetragen, dass Tom sein Heimweh überwinden konnte und gern nach Wernigerode gefahren ist.

Durch die regelmäßigen Elternseminare waren wir immer über die Arbeit des Teams der Villa informiert. Wir sind sehr, sehr dankbar, dass Tom sich in der weißen Villa so gut entwickelt hat. Und selbst das Jugendamt hat sich beim letzten Hilfeplangespräch bei uns bedankt, dass die weiße Villa nunmehr in den Leistungskatalog des hiesigen Jugendamtes aufgenommen werden konnte – es gibt offensichtlich nicht viele gute Einrichtung auf diesem Gebiet.

Unser Tipp an alle Eltern, die sich mit ihrem Kind in einer schwierigen Situation befinden: Nicht aufgeben! Folgen Sie Ihrem Bauchgefühl und setzen Sie ich ein! Sie und Ihr Kind haben einen gesetzlichen Anspruch auf Hilfe!