Entwicklungsbrief Kinder

Im Rahmen der jährlichen Verabschiedung der jungen Menschen, die ihre Entwicklungsziele erreicht haben, bitten wir sie ebenfalls als Bestandteil der Verabschiedung, einen Entwicklungsbrief über ihre Zeit und Erfahrungen in der Einrichtung zu schreiben. Wir möchten Ihnen auch hier einige dieser Briefe anonymisiert zur Verfügung stellen, damit Sie einen Eindruck über unsere Arbeit aus Sicht der jungen Menschen erhalten können.

Peter

Als ich in die Weiße-Villa kam, war ich laut, chaotisch und undizipliniert. In meinen Augen war ich selbstlos, für mich war es wichtig, dass es meinen Freunden in erster Linie gut geht. Die daraus folgenden Konsequenzen waren mir egal.

Entwicklung bedeutet für mich, sich in die richtige Richtung zu bewegen und manchmal auch über seinen eigenen Schatten zu springen. Das heißt für mich, mich selbst zu akzeptieren, meine Bedürfnisse überhaupt wahr zu nehmen und meine und die Grenzen anderer zu wahren.

Die Jugendlichen erwartet ein sehr warmherziges, familiäres Verhältnis. Es ist immer jemand da, der für einen da ist, einem zuhört und einem sinnvolle Ratschläge gibt. Allein ist man nicht!

Besonders gut getan hat mir die Herzlichkeit im Umgang miteinander. Ich habe Grenzen gesetzt bekommen, die ich mir selber nicht setzen konnte. Es fiel mir lange Zeit schwer, diese einzuhalten. Ein kleiner „Arschtritt“ zwischen durch und eine führende Hand haben mir dabei doch sehr geholfen, wieder in Gang zu kommen und meine Ziele weiter zu verfolgen, egal wie steinig der Weg auch sei.

Schwer gefallen ist es mir, mich zu öffnen und mich auf die Therapie einzulassen, meine Grenzen und die der anderen zu wahren und auch mal auf mich zu achten und zu schauen was für mich gut ist.

Das Verhältnis zu meiner Mama hat sich mit der Zeit sehr gut entwickelt. Wir streiten uns viel viel weniger, weil wir gelernt haben miteinander vernünftig umzugehen. Gibt es dann doch mal Unstimmigkeiten, reden wir darüber und versuchen Kompromisse einzugehen, mit denen wir beide zufrieden sind.

Die Weiße-Villa ist wie eine große Familie, mit viel Herz und Gefühl. Man kann sich nur schwer verstecken, da die Jugendlichen in einem engen Kontakt zu den Mitarbeitern stehen und diese einen immer im Auge haben, auch wenn man nicht 24 Stunden auf der Bildfläche erscheint.

Die Einrichtung hat mir sehr geholfen, mich auf meinen weiteren Lebensweg vorzubereiten.


Dominik

Ich wuchs zusammen mit meiner älteren Schwester und meinen Eltern in Bochum auf. Meine Probleme begannen, 2008, während ich die 8. Klasse besuchte. Ich ging aufs Gymnasium und hatte sehr hohe Ansprüche an mich selbst und glaubte auch andere hätten diese. Ich hatte vorher nie viel für die Schule tun müssen um meine Ansprüche zu erfüllen. Mit der 8. Klasse wurden meine Noten aber zunehmend schlechter und ich war nicht bereit mehr für die Schule zu tun als vorher. Ich wurde immer gereizter und unzufriedener mit mir, was ich hauptsächlich an meiner Familie ausließ. Zuerst selten, nach einiger Zeit dann regelmäßig begann ich nicht in die Schule zu gehen. Die Angst zu versagen und den Ansprüchen anderer nicht mehr zu genügen lähmte mich und wirkte sich körperlich, in Form von Magenschmerzen und Übelkeit, aus. Ich verlor zunehmend die Kontrolle über mich, brach alle Freundschaften ab und flüchtete mich in Krankheit. Auch meine Familie ließ ich nicht mehr an mich heran und ich sah die Ratlosigkeit meiner Eltern und wie sie die Situation belastete.

Ich besuchte mittlerweile einen Psychologen doch dies blieb aufgrund meiner Sturheit und meinem Wiederwillen mich ehrlich zu zeigen erfolglos. Schließlich musste ich für ein paar Monate in eine psychiatrische Einrichtung nach Baden Württemberg. Ich passte mich dort so gut wie möglich der Situation an und sagte meiner Psychologin alles was sie hören wollte und möglichst schnell nach Hause zurückzukommen und so veränderte sich nach meiner Rückkehr auch nichts. Ich belog meine Eltern, dass ich in die Schule gehen würde. Nachdem dies auffiel besuchte ich wieder einen Psychologen und wechselte die Schule. Ich besuchte nun eine Realschule doch auch dort ging ich bald nicht mehr hin, da meine Angst geblieben und sich an meiner Einstellung nichts geändert hatte. Ich bekam für ein paar Wochen Privatunterricht und mit Hilfe des Jugendamtes kam ich in ein katholisches Internat für verhaltensauffällige Jugendliche in Bayern. Ich entschied für mich, dass ich dort weder bleiben müsse noch könne und so weigerte ich mich nach dem ersten Heimfahrtswochenende wieder zurück zu fahren. Kurz darauf kam ich in ein weiteres Internat wo ich allerdings nach einem Tag abhaute. Ich versteckte mich weiterhin lieber in Krankheit und Selbstmittleid als mich der Realität zu stellen. Daraufhin kam ich für mehrere Monate in die Kinder- und Judendpsychiatrie nach Magdeburg. Ich hatte mittlerweile kein wirkliches Gefühl mehr zu irgendetwas, beziehungsweise war ich nicht mehr in der Lage meine Gefühle wirklich wahrzunahmen da ich überhaupt nicht mehr bei mir selbst war sondern mich versteckte und eine neue, für mich angenehmere Identität, geschafft habe. So habe ich auch kaum noch Erinnerungen an diese Zeit.

Im Dezember 2010 sah ich mir dann zusammen mit meinen Eltern die Weiße Villa an in welche ich dann im Januar 2011 einzog. Meine Eltern gaben mir zu verstehen, dass dies meine letzte Chance sei und dass eine Rückkehr nach Hause nicht mehr möglich sei. Ich ging vom ersten Tag an zur Schule und nahm an den Gruppen und abendlichen Reflexionen teil. Mit Hilfe der klar vorgegebenen Strukturen, Regeln und Therapie arbeitete ich an meinen Problemen. Ich lernte mit Hilfe der Betreuer, der anderen Jugendlichen und des Enneagramms mich selbst besser zu verstehen, und meine Automatismen kennen. Ich musste erkennen, dass ich nur wirklich die Harmonie, nach welcher ich suchte, durch harte Arbeit an mir selbst und der Auseinandersetzung mit auch schwierigen Themen, bekommen kann. Dabei war vor allem auch der Austausch mit den anderen Jugendlichen sehr wichtig für mich und zu erkennen das ich mit meinen Themen nicht alleine bin. Ich lernte mich zu positionieren, meine Meinung zu vertreten und mich selbst dabei nicht zu vergessen. Ich hatte seit langem das erste Mal wieder schulischen Erfolg und soziale Kontakte. Ich baute mir einen Freundeskreis auf und auch das Verhältnis zu meinen Eltern verbesserte sich. Ich hatte seit langem wieder wirklich Freude an dem was ich tat und konnte dabei ganz bei mir sein und musste mich nicht mehr verstecken. Ich musste lernen was es bedeutet auch für andere Verantwortung zu übernehmen ohne sich selbst dabei zu vergessen. Zu meinem Vater blieb es weiterhin angespannt, es herrschte viel Unverständnis und noch kein richtiges Vertrauen meinerseits. Im Juni 2012 zog ich dann in die Büchtingenstrasse um. Dies war der erste Schritt in Richtung Verselbstständigung, in welcher ich lernte mich und meinen Tag zu strukturieren und meine Aufgaben zu erledigen. Ich besuchte nun die 10. Klasse und zog kurz vor den Prüfungen, im Mai 2013 in die Ringstraße um. Durch meinen Schulischen Erfolg erhielt ich neues Selbstvertrauen und hatte nun das geschafft wovon ich glaubte es niemals erreichen zu können. Doch während der vielen freien Zeit, welche ich zwischen den Prüfungen hatte, verlor ich meine Tagesstruktur und ich schaffte es nicht mir eine neue aufzubauen und meine Zeit sinnvoll zu nutzen. Ich hatte das Gefühl meine Tage zu verschwenden und nichts Sinnvolles machen zu können, doch statt die freie Zeit zu nutzen und mich zu strukturieren ging ich dieser Angst aus dem Weg und stellte mich ihr nicht. Um meine Angst nicht spüren zu müssen und meine Harmonie doch zu erreichen trank ich immer mehr Alkohol. Ich konnte damit erst wieder aufhören nachdem mir bewusst wurde was ich eigentlich tun musste. Ich musste mir eine neue Tagesstruktur schaffen, mich der Angst stellen und mich bewusst nicht für den einfachen Weg der Betäubung entscheiden sondern mich zusammenreißen, mir Hilfe holen und die Aufgaben, welche ich hatte erledigen.

Nach dem Sommer begann meine 11. Klasse auf der Fachoberschule im Bereich Wirtschaft. Während meinem Aufenthalt in der Weißen Villa gab es immer wieder Phasen in denen ich es nicht schaffte meine Bedürfnisse zu kommunizieren, mir meinen Freiraum zu nehmen oder meine Aufgaben nicht aufzuschieben. Ich vergaß mich dann selbst komplett und betäubte mich um mich nicht meiner Angst stellen zu müssen. Ich lernte aber damit umzugehen, mir Hilfe zu holen und es immer frühzeitiger zu erkennen und selbstständiger etwas dagegen zu tun. Erst als ich dies schaffte war ich auch in der Lage wirklich auf andere zu sehen und nicht nur Verantwortung für mich und für Andere zu übernehmen. Ich habe gelernt meine Stärken und Schwächen und somit mich selbst vernünftig einzuschätzen und meine Ziele und Erwartungen dementsprechend zu setzen. Somit lernte ich auch mich wahrhaftig zu zeigen, wirklich etwas von mir zu geben und mir echte Freundschaften aufzubauen. Auch die Beziehung zu meinem Vater wurde mit der Zeit besser. Ich konnte ihn durch viele Gespräche mit Fr. Spamer endlich besser verstehen und seine Art zu handeln akzeptieren. Dadurch war ich auch in der Lage wieder Vertrauen zu ihm aufzubauen und heute haben wir eine gute Vertrauensvolle Beziehung zueinander wie ich sie anders mir nicht wünschen könnte. Ich habe gelernt die wirkliche Harmonie mit mir selber und daraus resultierend auch zu anderen nur durch wirkliche Arbeit an mir selbst zu bekommen und nicht mit Betäubung und der Flucht vor schwierigen Aufgaben. Anfang der 12. Klasse begann ich mir viele Gedanken, über die Zukunft und was ich nach diesem Jahr machen möchte, zu machen. Ich bekam allmählich Panik und Angst vor dem was kommen würde. Ich hatte das Gefühl nicht alles geschafft zu haben und dass nicht mehr genug Zeit dafür wäre. Ich holte mir schließlich Hilfe um mir einen Plan zu schaffen nach dem ich vorgehen konnte und auf welchen ich zuarbeiten konnte. Ich erarbeitete zusammen mit Fr. Rauhut die Dinge an welchen ich noch in diesem Jahr arbeiteten wollte und was ich schon alles geschafft hatte.

Schließlich beschloss ich mit dem Studium noch ein Jahr zu warten und ein FSJ in der Weißen Villa zu machen. Vor meinen Prüfungen musste ich zum ersten Mal wirklich lernen und etwas für die Schule machen um meine klar gesetzten Ziele zu erreichen. Dies fiel mir zuerst sehr schwer aber ich wusste wofür ich es tat. Ich arbeite weiterhin an Themen wie: Positionierung, Selbstbewusstsein und aktiv bleiben, kann mir wenn nötig Hilfe holen und habe ein sicheren und wahrhaftigen Freundeskreis aufgebaut.