Entwicklungsbrief Kinder

Marco

Ende Oktober 2012 bin ich in der Weißen-Villa-Harz angekommen. Ich kam direkt aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Uchtspringe. Dort haben Hr. und Fr. Spamer mich besucht und ich habe einen Vortrag gehalten, der kam aber mehr von den Mitarbeitern dort als von mir. Damals konnte ich nicht mehr nach Hause zurück, weil ich zuhause nur schlechte Noten ge-schrieben habe und zuletzt nur noch Zuhause geblieben bin. Das war meine scheinbare Frei-heit. Ich habe fast nur gezockt und mich manchmal selbst verletzt und wollte eigentlich nicht älter als 16 Jahre, später 17 und zuletzt war meine Grenze, 18 Jahre alt zu werden.

An einem Freitag wurde ich entlassen und am folgenden Sonntag wurde ich in der Grünen-Villa aufgenommen. Am Montag bin ich zum ersten Mal in die Schule gegangen, in die 9. Klasse Hauptschule. Als ich am Sonntag kam, war nur David da, alle anderen Jugendlichen kamen erst später. Ich bin sofort in mein Bett gegangen, weil ich die anderen nicht sehen wollte, und habe so getan, als ob ich schlafe. In meiner Erinnerung habe ich alles um mich herum erst spät wahr-genommen.
In der Schule war ich morgens immer müde, wegen der Medikamente, die ich damals genom-men habe. Ich hatte oft „Gedankenspiralen“ und habe mit dem Kopf auf der Bank gelegen. Ca. 2-3 Monate hat trotzdem alles recht gut geklappt. Dann bin ich immer öfter aus der Schule ab-gehauen (meine „Gedankenspiralen“ waren: weil ich so müde bin, kann ich eh in der Schule nichts machen, dann kann ich auch abhauen, weil es eh keinen Sinn hat).
Ich bin dann von der Hauptschule ins Produktive Lernen gewechselt, was noch viel schlimmer für mich war als die Hauptschule, vor allem aufgrund der Leute dort. am Ende des Schuljahres bin ich dann wieder zur Probe für 2 Wochen in die 9. Klasse Realschule gewechselt, um realisti-sche Anforderungen zu haben, und bin dann ab dem folgenden Schuljahr in die 10. Klasse ge-gangen. Ich war am Ende der 10. Klasse dann überrascht, dass ich überhaupt einen Schulab-schluss bekommen habe! Ich war nicht mehr so müde in der Schule, weil meine Medikamente reduziert wurden und ich wollte auf keinem Fall wieder ins Produktive Lernen.

In der Grünen-Villa war es anstrengend für mich, da ich viele Ängste vor Menschen hatte und auch „Gedankenspiralen“. Ich bin oft bei Kleinigkeiten ausgerastet, z. B. wenn jemand Neues in die Gruppe kam. Ich habe schon in der Grünen-Villa mit dem Klettern begonnen und war mit der Klettergruppe zusammen zum ersten Mal im Urlaub im Ausland. Das war sehr gut, da es in der Gruppe war. Außerdem bin ich bei jeder Ferienfreizeit mitgefahren, weil es nicht gut für mich war, so lange Zeit in den Ferien zuhause zu sein. Nach 1-2 Wochen war es für mich immer so, als hätte es die Villa nie gegeben.
Von der Grünen-Villa bin ich dann in die Gelbe-Villa, die Bü 12 und zuletzt in die Ringstr. umgezogen. Die Zeit in der Gelben-Villa und in der Bü 12 war wie ein schwarzes Loch für mich und ich kann mich kaum daran erinnern.

In der Zeit in der Bü 12 habe ich mit Andreas, Ludwig und Johannes zusammen gewohnt, danach kam Carsten. Johannes und ich haben auf einer Etage gewohnt, uns aber nie gesehen. Als Mike später einzog, sind wir Freunde geworden, wir kannten uns schon aus der Grünen-Villa. In der Büchtingenstraße war es oft noch schwierig für mich, wenn ich z. B. vor der Gruppe über mich reden musste. Dann war ich wie gelähmt und habe nichts mehr sagen können. Das Ge-fühl, die Angst, blieb bestehen, wenn ich mich nicht bewegt habe.
Den Umzug in die Ringstraße musste ich dann machen. Ich war dort das erste Mal zum Abend-essen, bevor ich umgezogen bin, und war sehr aufgeregt. Ich wurde aber gut aufgenommen. Dann bin ich mit Michael in eine WG gezogen. Wir haben uns selten gesehen, aber das war für uns in Ordnung war. Mir war es aber oft langweilig in der Wohnung, deshalb war ich oft im Bü-ro.
Jetzt komme ich mit allen in der Ringstraße gut aus. In der Ringstraße habe ich gemerkt, dass ich entspannter geworden bin, im Kontakt mit meinen Mitmenschen.

Nach der 10. Klasse wollte ich noch weiter in Wernigerode bleiben, deshalb habe ich mich bei der OKS beworben. Mein Praktikum habe ich bei Allianz begonnen, dort hatte ich aber einen großen inneren Druck und Angst, alles nicht zu schaffen. Deshalb habe ich mein Praktikum in der Verwaltung der Weißen Villa weitergemacht. Ich bin trotzdem öfters im Bett liegengeblie-ben und nicht hingegangen. Das ist aber schrittweise immer besser geworden. Zur Schule zu gehen war weniger das Problem. Ich war mit David in einer Klasse und er war lange Zeit der einzige, mit dem ich geredet habe. Jetzt bin ich viel lockerer geworden. In der 12. Klasse war es leichter für mich, jeden Tag zur Schule zu gehen.

Zuhause hat sich bei mir am wenigsten verändert. Wir haben sehr wenig miteinander gespro-chen. Ich wollte zuhause meine Ruhe haben, habe viel gezockt. Das Verhältnis zu meiner Mut-ter ist entspannter geworden. Ich habe meine Familie wieder schätzen gelernt und unternehme gern etwas mit ihnen.

Was sich bei mir noch verändert hat, ist: ich habe mehr Selbstvertrauen bekommen und habe keine Angst mehr vor Menschen. Ich habe jetzt auch mehr Leichtigkeit im Umgang mit Men-schen. Außerdem habe ich zwei Schulabschlüsse geschafft, wobei ich nie gedacht hätte, dass ich überhaupt einen Abschluss schaffen kann. Jetzt ist für mich alles nicht mehr so un-machbar!
Ich habe jetzt auch ein Handy, das ich benutze.

Meine Zukunftsplanung habe ich zuerst weggeschoben. Dann habe ich mich aber entschieden, dass ich in Wernigerode studieren möchte. Ich bin in eine eigene kleine Wohnung gezogen und wohne zum ersten Mal allein. Ich bemühe mich, den Kontakt zur Villa weiter zu halten.